die uns überhaupt erst möglich macht, Unterscheidungen vorzunehmen und Beobachtungen anzuzeigen.

Um diese Rezeptionsroutinen aufzubrechen, die verhindern, daß wir das Wirken grundlegender physikalischer Gegebenheiten wahrnehmen, nutzen Bartnizki und Kraft die erwähnte spielerische Neugier des Menschen und locken ihn in Räume des zweckfreien Spiels, das eine neue und überraschende Perspektive auf die natürlichsten und grundlegendsten Gegebenheiten unseres Seins ermöglicht.


Diesen Ansatz spiegelt auch die Wahl des Ausstellungstitels wieder: „Physiopark“. Unter einem Park versteht man heutzutage vor allem einen Ort des Ausruhens, der Zerstreuung, des Spiels, auch einen Ort der Attraktionen - in diesem Fall einen Ort physikalischer Attraktionen.

Doch sind diese Attraktionen eben keine Bestandteile eines physikalischen Kuriositätenkabinetts, keine Phänomene, die scheinbar von den „unwandelbaren“ Konstanten abweichen, sondern es sind diese Konstanten selbst, die uns ohne ihre alltägliche Maskerade vorgeführt werden! Ganz im Sinne eines Zitats des vietnamesischen Zen-Lehrers Thich Nhat Hanh: „Im gegenwärtigen Augenblick zu leben ist ein Wunder. Über das Wasser zu schreiten ist es nicht.“

Eine dieser Konstanten ist die Gravitation, die wir zwar immer und überall spüren und beobachten, über deren Wesen und ihre vielfältige Wirkung wir uns aber so gut wie nie Gedanken machen. Tatsächlich ist Gravitation nichts anderes als Bewegung und Beschleunigung.
Selbst wenn wir vermeinen, still zu stehen, ist dieser Stillstand eigentlich nichts anderes, als ein aufgehaltener Sturz auf den Erdmittelpunkt zu; gleichzeitig natürlich auch die rasende Rotation um diesen Mittelpunkt herum; und gemeinsam mit dem Erdball eine noch schnellere Bewegung um das Gravitationszentrum der Sonne herum, die sich mit unserem ganzen Sonnensystem wiederum in rasender Fahrt um den Mittelpunkt unserer Galaxie bewegt, die schließlich unvorstellbar schnell, angetrieben von der Gewalt des Urknalls, durch das expandierende All saust.

Um die Gravitation auf simpelst mögliche Weise erfahrbar zu machen, wählten Bartnizki und Kraft in ihrer Arbeit „1 durch r Quadrat“ die schiefe Ebene, mit der es bereits Galileo 1594 gelungen war, die Erdbeschleunigung zu ermitteln.
Auf einem Video der Apollo 15 Mission erleben wir die Erfüllung einer Voraussage, die Newton auf der Basis von Galileos Erkenntnis formuliert hat, nämlich daß ein Hammer und eine Feder, wenn da nichts ist, das ihren Fall bremst, wie z.B. die Luft, die gleiche Fallgeschwindigkeit entwickeln.
Wiederum ein deutlicher Verweis auf unsere Wahrnehmungsroutinen, deren Bedingtheit und Beschränktheit wir im Alltag weder wahrnehmen noch in Frage stellen.

Ein nächster Komplex beschäftig sich mit dem Urknall und dessen Echo, der kosmischen Hintergrundstrahlung, in deren Strukturen erst vor kurzem Gravitationswellen entdeckt worden sind, die aus der (gerade entstandenen!) Zeit kurz nach dem Urknall stammen und damit das Modell des Inflationären Universums bestätigt haben.
Als Verweis auf diese uns stets umgebende Hintergrundstrahlung und die darin enthaltene Information wird der Raum durch die Klanginstallation „Nachhallgerät“ beschallt, die die Gravitationswellen des Urknalls in ein hörbares Spektrum übersetzt.

Ein Teil des Ausstellungsraums wird beherrscht von einer visuellen Umsetzung des Urknalls mit dem Titel „Big Bäng 1, 2, 3“ in Form dreier Schaukästen und einer chaotisch anmutenden Explosion von allerlei merkwürdiger Materie, eingewoben in Klopapier-Superstrings; eine kleine Erinnerung daran, das alle Materie „kosmisch“ ist, nicht nur Dinge, die von Hubble beobachtet werden, sondern auch die Dinge, die in den Regale der Drogerien stehen.
In einem der Schaukästen fliegen Atome und Steinbrocken auseinander, in einem zweiten die Tiere der Arche Noah - Verweis darauf, daß nicht nur die unbelebte Materie des Universums dem Prozess gehorcht, der durch den Urknall ausgelöst worden ist, sondern auch die Evolution der Organismen: die stete Zunahme von Vielfalt und Komplexität bei einer gleichzeitigen Expansion.

Natürlich stellt sich dem an seiner Alltagstauglichkeit gewachsenen Verstand die Frage: was habe ich denn mit dem Urknall zu schaffen?

Die 04. Ausstellung im Jahresprogramm Park&Ride des EINSTELLUNGSRAUM e.V.
Vernissage
Gefördert von der Kulturbehörde der Freien und Hansestadt Hamburg und Bezirk Wandsbek 
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