Clara Lena Langenbach wählt das Ikebana als Form, als Gussform und gestalterische Vorlage, als Referenzrahmen und Style-Sheet für ihre sechs plastischen Arbeiten in diesem Raum. Anstatt Blüten, Blätter und Stiele arrangiert sie Kunstnägel, Haar-Extensions und Schlüsselbänder. Würde man an die Dichotomie Natur-Kultur glauben wollen, würde sie diese hier auf den Kopf stellen – sieht man allerdings genau hin, so stehen die zurecht gezupften und beschnittenen organischen Bestandteile eines traditionellen Ikebana den mit Heißkleber collagierten Nippes, Alltags- und Konsumteilen in Claras Lenas Gestecken in Sachen Artifizialität um Nichts nach.  Das Feld, von dem sich Clara Lena für ihre Gestecke bediente, sind die Geschäfte links und rechts und gegenüber dieses Raumes – die Geschäfte der Wandsbeker Chaussee – das war ihr Sammelrevier.

Zweithaar Profi Zakia, Schneppchenmarkt, Gap Hair Food & Cosmetics, Carepoint Sanitätshaus, 4-Shisha Shop Hamburg – das Angebot an der Wandsbeker Chaussee ist groß und mannigfaltig, die Straße eine, wie sie gerne „multikulti“ genannt wird. „Multikulti“, ein euphemistischer Begriff, wie er auch in Wohnungsannoncen und Stadtteilbeschrei-bungen verwendet wird, als Synonym für divers oder lebhaft. In der Begrifflichkeit werden nicht nur die Ursachen und Bedingungen für Migration und kulturelle Verdichtung unterschlagen, sondern auch mit Leichtigkeit und Leichtfertigkeit die westlich zentrierte Annahme von in sich abgeschlossenen – und national zugehörigen – Kulturen und ihren Ein- und Ausschlüssen weitergeschrieben. Ethnisch und national beseelte Kulturen stehen im Prinzip der Multikulturalität wie abgeschlossene Pakete, wie einzelne Ladenzeilen und voneinander
unabhängige Schaufenster nebeneinander, ihren Unterschieden, die – so wird behauptet – „nunmal so gegeben sind“ wird mit „Integration“ oder „Toleranz“ begegnet, dabei aber weiterhin auf eine feinsäuberliche Trennung des Eignen und Fremden geachtet.


In Clara Lena Langenbachs ‚Blumengestecken’ lösen sich diese Trennungen und Grenzen auf – der ehemalige Blumenladen kollidiert mit dem heutigen Ausstellungsraum, die Erinnerung an die Blumenbouquets knüllt sich mit der Tradition des Ikebana zusammen,
die Waren und Artikel der einzelnen Läden verschmelzen zur arrangierten Flora einer Einkaufsstraße. Anstatt einer Multikulturalität vollzieht sich in den Ikebana Gestecken aus Aneignung, Zitation und Bezugnahme ein dichtes, unlösbares Knäuel – vielleicht ein Abbild der Globalisierung, wie sie von Byung Chul Han beschrieben wird: „Der Globalisie-rungsprozess wirkt akkumulierend und verdichtend. Heterogene kulturelle Inhalte drängen sich in einem Nebeneinander - Kulturelle Räume überlagern und durchdringen sich. (...) Die Kulturen implodieren!“

Die Kollision, die Implosion, die Verdichtung ist schließlich auch der Ausgangspunkt zu Clara Lena Langenbachs Ausstellung O U – nämlich die ganz große Kollision – der Big Crunch. „Wirft man einen Ball in die Luft, so kommt er ziemlich schnell zurück. Gravitationskraft und die Kraft des Wurfes verhandeln dabei den Moment der Umkehr. Die Theorie des BIG CRUNCH sagt Ähnliches für unser Universum voraus. Noch fliegt die Materie vom Urknall getrieben auseinander. Der Punkt (O) der Umkehr (U) kann nur vermutet werden, da es für eine Berechnung zu viele Unbekannte gibt. Ist die Gravitationskraft aber stark genug den Prozess umzukehren, so endet das Universum wie es begonnen hat: in einem Punkt“, einem Knäuel.

In Claras Blumengestecken finden versprengte Teile wieder zurück zu einem Ganzen – und mit den einzelnen Bestandteilen Bruchteile ihrer Geschichten von Isolation und Globalisation, Migration und Metamorphose, Handels- und Kulturbeziehungen, Tradition und Hyperkapitalismus.  Die Blumen werden zurück in den Blumenladen gesogen – verfälscht aber, verzogen, ausgetauscht, als wäre bei dem Big Crunch alles durcheinandergeflogen und etwas üb
errascht wieder nebeneinander gelandet. Zusammengelesen wird aus O U übrigens „ou“ – französisch für „oder“. Und so beginnt und endet die Ausstellung mit einer achselzuckenden Möglichkeit, einem Zögern vor endgültigen Aussagen und definitiven Prognosen – es könnte so passieren, oder –ou¬– auch ganz anders, das alles kann wirklich jenes bedeuten, oder –ou– etwas ganz Anderes.

Die 6. Ausstellung zum Jahresprogramm (Keine) Wendemöglichkeit 2018 des EINSTELLUNGSRAUM e.V.


Vernissage
Gefördert von der Behörde für Kultur und Medien der Freien und Hansestadt Hamburg,  Bezirk Wandsbek und VG Bild
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