Das geglückte Missverständnis - Thomas Piesbergen über die Ausstellung „Misunderstood Careless Whispers“ von Francisca Markus und Elina Saalfeld

In seinem Essay Kassandras Stimme schreibt der Literaturwissenschaftler und Schriftsteller Alberto Manguel: „Geschichten nähren unser Bewußtsein und können uns zur Erkenntnis darüber führen, wenn schon nicht wer, so wenig-stens, dass wir sind, zu einer essentiellen Bewußtheit, die sich in der Begegnung mit der Stimme des anderen herausbildet.
Wenn zu sein bedeutet, wahrgenommen zu sein, wie Bischof Berkeley bemerkte (…), dann sind wir, um zu wissen, auf das Wissen anderer ange-wiesen, die wir wahrnehmen und die uns wahrnehmen.“
Zwar spricht Manguel in diesem Text über die Literatur, doch können wir sie als spezielle Form der Kommunikation in diesem Zusammenhang als stellvertre-tend für deren Gesamtheit begreifen.

Wir brauchen also die Kommunikation mit anderen Menschen, um uns des eigenen Selbst zu vergewissern, unserer Erfahrungen, unserer Lebendigkeit.
Es liegt nahe daraus abzuleiten, man brauche ein Kommunikationsmedium, das geeignet ist, die dazu notwendigen Inhalte für beide Seiten verständlich zu übermitteln. Es muss imstande sein, Verständigung herzustellen. Dazu dient uns, neben der abbildenden Kunst, der Musik und den Ausdrucksformen des Körpers, vor allem die Sprache.

Über sie schrieb Elias Canetti jedoch in einem Interview zu seinem Roman Die Blendung: „Ich begriff, daß Menschen zwar zueinander sprechen, aber sich nicht verstehen; daß ihre Worte Stöße sind, die an den Worten der anderen abprallen; daß es keine größere Illusion gibt als die Meinung, Sprache sei ein Mittel der Kommunikation zwischen Menschen. Man spricht zum anderen, aber so, daß er einen nicht versteht… Wie Bälle springen die Ausrufe hin und her, erteilen ihre Stöße und fallen zu Boden. Selten dringt etwas in den anderen ein, und wenn es doch geschieht, dann etwas Verkehrtes.
An anderer Stelle in demselben Interview heißt es:
„Diese sprachliche Gestalt eines Menschen, das Gleichbleibende seines Sprechens, diese Sprache, die mit ihm entstanden ist, die er für sich allein hat, die nur mit ihm vergehen wird, nenne ich seine akustische Maske.“

Ganz im Gegensatz zur Auffassung Manguels, der in der Sprache ein Mittel zur Überwindung der Isolation sieht, erscheint die Sprache hier als etwas, das nicht zur Verständigung dient, sondern sie geradezu verhindert. Aus Canettis Sicht nutzen Menschen die Sprache, willentlich oder unbewusst, um sich dahinter zu verstecken, sich zu maskieren, sich zu verpanzern und um ihr Gegenüber zu attackieren.

Auch wenn diese beiden Aussagen sich gegenseitig auszuschließen scheinen, sind uns dennoch beide beschriebenen Gesichter der Kommunikation bekannt. Jeder von uns hat sowohl hoffnungslos gescheiterte als auch glücklich gelungene Kommunikation erlebt; Gespräche, in denen selbst der klarste, akkurat formulierte Gedanke den Raum zwischen zwei Menschen nicht über-brücken kann, und solche, in denen jede auch nur angedeutete Nuance verstanden wird.

Wie ist es also möglich, dass ein Medium, das so offensichtlich störanfällig zu sein scheint, dennoch imstande ist, das Gefühl von Verstehen und Verstanden-Werden in uns hervorzurufen?

Zur Erhellung dieses paradoxen Umstands möchte ich zunächst das Kommunikationsmodell von Friedemann Schulz von Thun heranziehen. Nach Schulz von Thun hat jede Äußerung vier verschiedene Ebenen: Die Sach-ebene, die Beziehungsebene, die Apellebene und die Selbstoffenbarungs-ebene, die sich zum sogenannten Sprachquadrat zusammenfügen. Je nach charakterlicher Disposition und akuter Stimmung bevorzugen wir mal diese, mal jene Ebene. Operieren jedoch zwei Gesprächspartner auf einer jeweils anderen Ebene, sind Missverständnisse eine notwendige Folge.
Der 09.Beitrag zum Jahresprogramm SEELENKLIMA des EINSTELLUNGSRAUM e.V. 2021
Präsentation
Vernissage
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