Ich hatte damals eine Lebenskrise, in
deren Verlauf meine Schwester einen schweren
Autounfall hatte. Ein anderes Mal entkam ich selbst
knapp einer Kollision. Zur selben Zeit warb Greenpeace
dafür, dass man sein Auto mal vier Wochen stehen
lassen sollte. Das habe ich getan und gemerkt, es geht
ohne Auto. Ich habe es dann sehr bald verkauft. Fühlten Sie sich freier? Anfangs nicht. Mir wurde bewusst,
dass man als Autofahrer in bestimmten Routen denkt,
die für den Fußgänger nicht funktionieren. Zunächst
empfand ich meine Langsamkeit wie Blei an den Füßen.
Als ich mich umgestellt hatte, bin ich sehr viel
wacher geworden: Ich habe Gerüche und Geräusche von
Natur und Menschen bemerkt. Die ganze Welt war
plötzlich Theater. Auch wenn ich im Bus sitze, ist das
wie ein Theaterstück: Wer sitzt neben wem? Was
erzählen sie sich? Es müsste wohl am ehesten
"Feldforschung" heißen. Wir haben Jahresmottos, die
abwechselnd technikbezogen und metaphysisch sind.
Voriges Jahr lautete es "Hybrid", diesmal "Autos
fahren keine Treppen". 2012 soll es dann "Schalten und
Walten" sein. Was haben Technik und Metaphysik
gemeinsam? Das habe ich vor vielen Jahren im
Zuge meiner Unterrichtsvorbereitung als
Kunsterzieherin herausgefunden. Damals wollte ich
Schülern erklären, was man unter "Bild" verstehen
kann. Es gibt ja den Ausdruck "vera icon", das "wahre
Bild", womit zum Beispiel das Schweißtuch der Veronika
mit dem Antlitz Christi gemeint ist - ein Ur-Bild
gewissermaßen. Der englische Dichter Thomas Norton hat
das in der Renaissance weitergedacht und ein
alchemistisches "Läuterungsmuster in Form eines Ofens"
ersonnen. Was ist das? Ein gezeichnetes Modell, das die Welt
in verschiedene Sphären aufteilt und den Weg vom Chaos
zur Erkenntnis und letztlich zu Gott aufzeigt. Später
habe ich bemerkt, dass der erste Motor, der
"atmosphärische Flugkolbenmotor", aus dem später der
Otto-Motor wurde, nach genau diesem Muster
funktioniert: Auch er arbeitet von unten nach oben.
Nur, dass der Motor seine Energie nicht nach oben
abgibt, sondern in die Horizontale. Und genau diese
Frage treibt mich immer noch um: ob die stets auf der
Horizontalen bleibenden, in ihren Abläufen starre
Maschine nicht ein Irrtum ist. Haben Sie das mit Technikern
diskutiert? Ich habe es versucht. Ich war bei
Daimler-Benz in Untertürkheim und habe in Hamburg den
Kontakt zu BMW gesucht und auch versucht, sie als
Sponsoren zu gewinnen. Aber da war immer eine große
Fremdheit. Inwiefern? Auch kann kaum noch einer der
Techniker etwas zum atmosphärischen Flugkolbenmotor
sagen. Sie kennen ihre aktuellen Motoren, deren PS,
den Lack, die Karosserie - aber nicht, was drinnen
passiert. Wenn ich von Metaphysik anfing, haben sie
mich angeguckt, als käme ich vom Mond. Aber mit Philosophen können Sie
darüber reden. Kaum. Warum nicht? Metaphysik ist zur Zeit unmodern und
gilt als verdächtig. Nietzsche hat ja behauptet, Gott
ist tot. Daran halten sich fast alle.
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