der Täuschung anderer, in dem wir im Netz optimierte Avatare unserer selbst generieren und in den sozialen Netzwerken ein Leben vorspiegeln, das wir faktisch nicht führen, sondern diese Maskerade vollzieht sich auch auf einer subtilen Ebene, die sich unserer Wahrnehmung entzieht, und so zu einer ernstzunehmenden Störung des Selbstbildes führen kann.

Der Topos der Maske rückt auch zwei andere wichtige Aspekte der digitalen Welt in den Fokus. In archaischen Kulturen mit einer starken mythologischen Struktur und einer zyklischen Auffassung von Zeit begegnet uns die Maske als Mittel des Übertritts in den überzeitlichen Bereich der numinosen Ordnung der Welt. Die von den Masken versinnbildlichten Götter und Geister sind lediglich Symbole der verschiedenen Aspekte dieser Ordnung. Indem menschliche Akteur*innen sich im Ritual maskieren, werden sie eins mit den Entitäten, die sie darstellen, und entziehen sich dem zeitlich linearen Kontinuum. Sie werden selbst zu den überzeitlichen Ordnungsprinzipien und helfen, deren Aufrechterhaltung in der menschlichen Sphäre zu gewährleisten.

Im Hellenismus, vor allem unter dem Einfluß von Platons Lehre der Urbilder, entstand daraus schließlich das Konzept des Ideals. Im Gegensatz zu den göttlichen Entitäten, die mit Hilfe der menschlichen Akteur*innen die überzeitlichen Ordnungsprinzipien aktiv aufrecht erhalten, befindet sich das Ideal lediglich in vollkommener Übereinstimmung mit der überzeitlichen Ordnung, ist aber nicht für ihre aktive Erneuerung verantwortlich.
Ganz im Gegensatz zur Existentialphilosophie setzt diese Art des Denkens die Essenz des Menschlichen voraus. Das Handeln gilt hier also nicht als ein Prozess, in dem das Selbst durch das Erleben entsteht. Das Handeln dient lediglich dazu, das in der universellen Ordnung bereits angelegte ideale Selbst zu verwirklichen oder freizulegen. Dieses Konzept des Selbst begegnet uns in der Art und Weise, wie die digitalen Avatare aktuellen Idealen nachgebildet werden, und wie in öffentlichen Selbstdarstellungen sog. Perfektion angestrebt wird, die nichts anderes ist, als der Versuch, sich einer vermeintlich absoluten
Ordnung anzunähern, an eine vorübergehende Übereinkunft im Mainstream, an eine Mode, deren Urheber das maskierte Selbst jedoch nicht ist.
Die Maskierung, die sich im Netz ereignet, entspricht also eher einer antiken Idealisierung als einer archaischen Maskierung. Der Prozess der Annäherung an ein Ideal, sowohl auf der Ebene des Individuums als auch auf der Ebene der Gestaltung virtueller Umgebungen und Prozesse, ist hinlänglich unter dem Begriff der „Optimierung“ bzw. „Selbstoptimierung“ bekannt.

Jana Rippmann hat es sich mit ihrem aktuellen langfristigen und in stetem Wandlungsprozess befindlichen Projekt zur Aufgabe gemacht, diesem Selbst auf der Schwelle zwischen analoger und digitaler Wirklichkeit nachzuspüren.
Sie bedient sich dabei einer Technik, die in der Literatur maßgeblich von James Joyce und Virginia Woolf entwickelt worden ist und als „Stream of Consciousness“ bezeichnet wird. Arno Schmidt definierte sie wie folgt: „Die möglichst exakte Wiedergabe des Gemischs aus subjektivem Gedanken-Stromgeschnelle plus Dauerberieselung durch eine Realität.“(7) Wir erkennen in dieser Beschreibung unschwer das sich beobachtende Selbst an der Schnittstelle zwischen Ich und Nicht-Ich.
Die Realität, der sich Jana Rippmann dabei zuwendet, von der sie sich ganz bewusst „dauerberieseln“ läßt, ist allerdings eine digitale, von Algorithmen inszenierte Welt, auf deren Bildangebote sie wiederum reagiert und ihre Reaktionen im Sinne Sartres beobachtet, um so einem digitalen Selbst auf die Spur zu kommen.

Im vollen Bewusstsein der von Algorithmen gestützten Idealisierung und Selbstoptimierung, die im Internet herrscht, hat sie die Filter durch gezielte Suchanfragen derart manipuliert, dass sie sie mit entsprechend vermeintlicher 

(7) Arno Schmidt: Sylvie & Bruno, in ders.: Zürcher Cassette, Haffmanns, 1996
Präsentation
Vernissage
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