Stoffwechsel Kunst und Wissenschaft
Ich bin hier eingeladen, mich sozusagen als
Repräsentant
der Künstler bzw. der Kunst vorzustellen und daher einen Beitrag
zur
Diskussion zu liefern. Ich möchte zuerst meine mir zugeschriebene
Rolle in selbstzuschreibender Ergänzung etwas genauer fassen: Ich
sitze hier als intellektuel beirrter Künstlertyp, und dies umso
mehr,
als der Diskussions-Titel »Stoffwechsel« ein Teil meiner
Beirrung
ist.
Der Leitbegriff unserer Kommunikations-Veranstaltung, also der Begriff
»Stoffwechsel«, erscheint mir erstmal als einer, zu dem man
ein Verhältnis gewinnen möchte, wenn man darüber
reflektiert,
was die Welt und man selbst als Teil der Welt in den Wissenschaften
sein
soll. Dann frage ich mich, ob also ein Begriff, der der Wissenschaft
entnommen
ist, für eine Beschreibung von Gegenständen
künstlerischen
Interesses taugt oder ob man der Verwendung solcher Begriffe im
Kunstbereich
nicht unterstellen sollte, daß hier ein Eindringen der
Natur-Wissenschaft
in die Kunst vorliegt und dies heute mehr denn je fraglos hingenommen
wird.
Als Künstler würde ich allerdings begrüßen,
daß
nicht Kunst wie Natur-Wissenschaft werden soll, also logisch und
rational,
analytisch und reduktionistisch, sondern daß die Wissenschaft
künstlerischer
wird. Denn es gibt meiner Überzeugung nach bei allen
interdisziplinären
Sehnsüchten nach einer umfassend- absoluten Erklärung der
Welt,
doch eher einen wichtigen Unterschied von Kunst und Wissenschaft. Geht
man nämlich davon aus, daß Kunst wie Wissenschaft eigentlich
beide in den Natur-Phänomenen ihren Ausgangspunkt haben, so staunt
der Künstler angesichts dieser Phänomene und feiert im besten
Fall seine Verwunderung. Die Wissenschaft hingegen sieht in den
Phänomenen einen Stoff zur Objektivierung, also alles Wunderbare
wird sozusagen
wegrationalisiert und zersetzt, um in einem reduktionistischen
Verfahren
zu grundlegenden Gesetzmäßigkeiten zu gelangen. Angesichts
der
Komplexität unserer Gesellschaftsmaschinerie, die ja ganz
maßgeblich
in das, was Natur sein könnte, involviert ist, erscheint eine
derartige
Weltaneignung natürlich als notwendig. Ohne sie keine Prognosen
und
keine Möglichkeit, Techniken zu entwickeln, die die drohende
Katastrophe
vielleicht aufschieben können. Ich finde es allerdings
gefährlich,
wenn diese wissenschaftliche Aneignung des Weltstoffes anfängt,
das,
was Leben sein könnte, durch dessen Erklärbarkeit zu
ersetzen,
also in der Feststellung endet, daß alles eine
kybernetische
Maschinerie ist, der wir uns bemächtigen könnten. Gerade da
sollte
sich die Wissenschaft in ihrem Totalitätsanspruch von der Kunst
her
in Frage stellen lassen. Denn:
Künstler sind meist mit ihrem Gefühlsleben in die Welt
verstrickt,
erleiden Naturhaftigkeit am eigenen Leib, setzen im Werkprozeß
Kontrolle
ausser Kraft und versuchen dabei nicht unterzugehen, wozu sie sich auch
wieder distanzieren müssen. Sie können kulturelle
Überformungen
als problematisch erfahren, gerade weil sie sich auf der Seite ihrer
Herstellung
befinden. "Welt" wird in der Kunst oft als
unvernünftig-vielheitliche
Verschwendung erlebt und deshalb verausgaben sich Künstler in der
Vergeudung von Einbildungskraft, verschwenden sozusagen ihr Leben
darauf.
Mit anderen Worten: Das, was die Wissenschaft als Weltstoff zersetzt
und
dem Verstand dadurch verfügbar machen will, daß sie ihn
letztendlich
in ihren Konstruktionen selber macht, lässt der Künstler als
vielheitliche Lebendigkeit angesichts seiner
unannehmbaren individuellen Sterblichkeit bestehen. Er versucht daher,
der Widersprüchlichkeit seines Erlebens der Welt, die der
Künstler
nicht von sich objektivierend abschneidet, entgrenzend zu folgen und
seiner
ästhetischen Ergriffenheit dabei medial Ausdruck zu verleihen und
im besten Fall zur Diskussion zu stellen.
Oliver Ross, Juni 2004
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