Ich nahm eine wichtige Erfahrung aus diesem Unterricht mit: es braucht Zeit, um etwas zu erkennen. Im Kontext hier kann man sagen: Es braucht Zeit und Ruhe, um die Seele in ihren Schleiern zu erkennen. Und damit sind wir bei der entscheidenden Frage, was auf Seiten der Betrachter notwendig ist, um eine Ahnung von ihr zu bekommen? Was müssen wir mitbringen? Wie können wir uns öffnen?

Im Kunstbetrieb ist es heute üblich, Konzepte dafür zu liefern, wie man die Kunst zu verstehen hat? Das wäre eigentlich die erwartete Aufgabe eines/einer Einführungsredner*in. Tut mir leid, dass ich Ihnen damit nicht dienen will. An der Kunstakademie ist es inzwischen Usus, dass angehende Künstler*innen, ausgefeilte Worte dafür finden, was sie tun, oft bevor sich etwas wirklich entwickelt hat. Hier geht der Zeitgeist um, denn nur so kann Kunst leichter gustiert und zur Ware werden. Es entsteht eine unheilige Verbindung mit den Kunststudent*innen, die natürlich Angst haben, dass es nichts Wichtiges oder eher Unbedeutendes ist, was sie schaffen. Geschichten verkaufen sich besser. So werden Worte zur Maske der Scham.


Die abgewehrte Angst ist, nicht zu wissen und nicht zu verstehen. Das kann heute nicht mehr ausgehalten werden .. oder wurde es nie.

Der britische Psychoanalytiker Wilfred Bion beschrieb die notwendige Haltung gegenüber dem Patienten mit: „no memory, no disire, no understanding“. Man solle dem Patienten sebst ohne Erinnerung an die letzte Stunde, an seine Geschichte, an Konzepte, ohne eigenes Bedürfnis z.B. zu heilen und zu verstehen gegenüberstehen. Diese Haltung ermögliche dann irgendwann eine emotionale Erfahrung, die das Unbewußte des Patienten spürbar werden läßt. Vorbedingung ist das Aushalten des Nichtwissens, das Aushalten der Angst, etwas nicht zu wissen. Und es geht um eine emotionale Erfahrung - und nur so kann ich erfahren, was ich vorher noch nicht wusste.

Zurück zum Thema: wenn wir einem Kunstwerk mit Zeit und dieser Haltung begegnen, dann zeigt sich am ehesten seine Seele. Ich wünsche Ihnen heute ein wenig von dieser Haltung:  Vergessen Sie alles Wissen über Kunst, alle Bezüge und Vergleiche, alle Werturteile, versuchen Sie nicht zu verstehen.. dann kann vielleicht etwas von Angstschweiß der Seele aus dem Kunstwerk tropfen und öffnet den Zugang zu dem dahinter.

Der 05. Beitrag zum Jahresprogramm SEELENKLIMA des EINSTELLUNGSRAUM e.V. 2021
Video Maria Hobbing: Aktion - Schweißnähte der Schattenspiele
Präsentation         

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