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HAMBURGER FILZ


Wenn Llaura I. Sünner ab heute mit dem Einstellungsraum ein kleines Stück hanseatischen Stadtstaates besetzt, können die üblich verdächtigen Assoziationen ihres Werkstoffes erstmal vor der Tür bleiben. Ihre Filzobjekte kreisen nicht um Macht und Beziehungen, noch spielen sie mit den Erinnerungen des abgeschossenen Stukafliegers Beuys, der in Filzdecken überlebte.

Llaura spielt anders.

Ihre 7 Roller, eins zu eins bis überdimensional, beziehen sich auf die Kindheit, logo. Hingeschlappt liegen sie am Boden und ziehen uns runter. Mit einem Purzelbaum hinab in die Tage unserer kurzen Beine und großen Träume. Als die Kloschüssel noch ein absturzgefährdeter Thron war, erst kürzlich erobert und einladend zum Blick in die Ferne.
Ein freier, ungesteuerter Blick. Hinter den Winninger Hügeln des Elternhauses lag doch bestimmt gleich Amerika, und in den Weinhängen der Mosel, hätte da nicht Petrarca sitzen und sinnieren können vom Berg hinab?
Inzwischen ist das Kind im Kinde den Weg zur Frau und nach Hamburg gegangen, ein Luder ludens, das die stabilen Rüsseltiere des Römerfeindes in labilisierte Roller verwandelt hat. Sie schmeißt uns einen Schneeball zu und freut sich an der Lawine,  die uns von den trittsicheren Füßen holt. Aus den Tiefen der infantilen Gletscherspalten steigen die freundlichen Bildwelten der ersten Mobilität hervor und dämpfen den Fall wie in einem Kissen aus kuschelweichem Filzkristall.

Mein Tretroller und ich, wir waren ein Team. Fester Boden unter beiden Sohlen, links aus Holz, rechts aus Sand, Gras, Asphalt. Das ergibt Bewegung. Nie wieder ging es so schnell voran.

Augen auf: Das Stopschild der Erwachsenen kommt in Sicht, eine Vernissage ist eine ernste Angelegenheit, "Spielende Kinder" sind ein Verkehrshindernis. Doch wenn L.I.S. vor den Toren steht, fühlen die sich leicht wie Narren: mit der entsprechenden Freiheit. Die Lady nötigt uns zum Betreten schlüpfrigen Bodens, mehrere Lagen durchsichtiger Folie legt sie eisglitschig unter ihre gefallenen Roller uns zu Füßen. Und wie einst Hannibals Alpinisten sollen wir den Weg zwischen den Exponaten durchstolpern mit riskantem Ausgang für Balance und  Bodenhaftung.

Und wer haftet für die Werte?



Keine Bange, Feldherrin Sünner ist ein Imperator mit innerer Größe. Das Wohl und Wehe ihrer hintersinnigen Schöpfungen geht ihr insoweit am Allerwertesten vorbei, als daß sie nur den Hinschauer hineinziehen kann in die Erfahrung ihrer Objekte. Der Stolperer fällt weich, das ist die Hauptsache.   Mit einer Tube Pattex ist der Kunst -
schaden notfalls schnell behoben, da ist die Künstlerin erfrischend pragmatisch und unsensibel. Lud sie doch in vorangegangenen Vernissagen bereits zum Betreten von Filzteppichen, zum Öffnen verfilzter Wandtüren samt gelegentlichem  Abreißen der ange- brachten Klinken. Setzt sie doch seit Jahr und Tag ein großes textiles Schott im Harburger Hafen Wind und Wetter aus. Die Benutzung ihrer entfunktionalisierten Nutzlosigkeitszitate wird so durch die Hintertür der schalkhaften Inszenierung wieder freigegeben. So sinnvoll und naheliegend, wie es dem korkensprengenden Esprit eines beschwingten Freigeistes eben entspricht.

Aus Lauras Plastikbelägen sprudeln die Gedankenblasen eines verkehrten Verkehrs. Ihre rollenden Elefanten scheinen zusam- mengesetzt aus den Versatzstücken elementarer Mechanik: Räder, Achsen, Lenker. Es ist alles da, aber das da ist dada. Denn natürlich biegt die Schmiegsamkeit des Materials die Gesetze der Physik zu einem Bonmot. Diese Roller sind keine Roller, möchte man einen anderen Künstler zitieren.

Sie sind mehr als das.

Erinnerungen an eine Zeit vor der eigenen, an ein warmes Zuhaus und kühlenden Fahrtwind über aufgeschlagenen Knien. Damit führt die Fahrt in die Vergangenheit unvermittelt doch zu einer kleinen Kollision mit dem Filzer aus Düsseldorf. Denn behütet, verdam- michnocheins, fühlten wir uns doch meistens, als wir noch auf den Zweiradbrettern unterwegs waren. Sicher, auch zwischen den Schluchten und Berggraten einer Welt, die wohl noch größer schien als die Alpen, durch deren Klüfte und Krater sich einst Hannibal mit 37 Elefanten kämpfte. Es gab manchen Absturz, und die Landung ließ oft genug die Sanftheit vermissen. Aber nach Rom sind wir fast alle gekommen, auch wenn es dann manchmal aussah wie Waterloo. Die Dinge blieben am Rollen, wie unser Roller, wenn er nur kräftig getreten wurde. Und wir sind gewachsen wie diese glorreichen Sieben, die jetzt zu unseren Füßen liegen. Was könnte daraus folgen?
Wir dürfen sie noch immer betreten, diese Welt und diese Tretroller.

Die Llaura ist nicht so.






Stephan Kubisch / 03/2006

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