weshalb
er mir zugleich auch die Lehre, die aus dieser Episode zu
ziehen ist, unterbreitete: „Kunst ist eine Sprache unter
Eingeweihten. Diese müssen sich nicht jedes Mal die ganze
Geschichte von Neuem erzählen, weshalb die Kurzform, z.B.
eine Anspielung, reicht.“ erläuterte er. „Wenn du etwas
machst, dass erfolgreich sein soll, darfst du nicht viel
verändern. Sagen wir, zwei höchstens drei Prozent dürfen
neu sein; ist es mehr, wirst du nicht verstanden und
niemand interessiert sich für das, was du machst. Doch
das, was gezeigt wird, muss gut und möglichst elegant
vorgetragen werden.“ Dieses Gleichnis hat, die Kommunikation betreffend, zweierlei Vorausset- zungen. Die erste ist, dass wir es mit der Kultur einer Minderheit zu tun haben. Das haben der bunt zusammengewürfelte Haufen von Strafgefan- genen und die Kunstszene gemeinsam. Freilich ist der Kunstbetrieb dagegen ein „offener Vollzug“, eine Teilnahme ist freiwillig, doch sind die Menschen, die sagen wir mal, in der Hamburger Kunstszene verkehren, nicht zahlreicher und auch nicht vielschichtiger als die Insassen des Ham- burger Strafvollzugs. Beide sozialen Gruppen bilden jeweils einen Teilbe- reich unter den vielen sozialen Subsystemen und Milieus ab. Wichtig ist neben der räumlichen Begrenztheit auch der zeitliche Rahmen, in der die Begegnungen stattfinden. Da man nicht jedes mal das gesamte Wissen ausbreiten oder problematisieren kann, beschränkt man sich auf Namen, Ausstellungs- und Literaturtipps etc.. Aus diesen Kurzmitteilungen setzen sich dann Vorstellungen zusammen, die innerhalb einer Auswahl von Personen kursieren. Durch die parallelen unterschwelligen Informationen im Tonfall sowie durch Gestik und Mimik vermittelt nehmen die Beteiligten daher an, dass z.B. bestimmte Ausstellungen den Besuch lohnen und andere nicht. Noch stärker ist die im Gefängnisgleichnis vorgestellte Situation mit der an einer Hochschule, in einem Seminar oder einer Klasse vergleichbar, in der Menschen verschiedener Herkunft manchmal über Jahre gemeinsam einen wichtigen Teil ihres Lebens verbringen. Nachdem sie sich kennen gelernt haben, müssen sie die meisten Dinge nicht mehr ausführlich thematisieren. Es bilden sich Gemeinsamkeiten, die, obwohl sie weder alle Bereiche des Lebens umfassen noch ganz ausgegoren sind, oft ein Leben lang nicht mehr hinterfragt werden. Auf dieser Basis |
schleichen sich Kurzformen in den Austausch
von Wissen und Informationen ein. So sagt jemand mitten im
Seminar ein Wort und alle prusten und können sich kaum
halten vor Lachen. Das Wort bezieht sich auf eine Episode,
die jedem in Erinnerung geblieben ist. Entscheidend ist
dennoch der Moment. Er muss so gewählt sein, dass diese
Episode, eine Blamage oder ein Fehltritt des
entsprechenden Lehrers oder eine verbockte aber
superwitzige Antwort eines Studenten auf den Punkt trifft.
Dann kommt die Explosion des Atems und erreicht die ganze
Gruppe schlagartig. Die Pointe schlägt ein, weil sie ohne
jede Erklärung fast alle Beteiligten im Innersten anrührt.
Daher auch das Sinnbild eines Granateinschlags, das
natürlich ein Bild aus einer anderen Generation ist. Also
aus einer Generation der Kriegsteilnehmer, die bis in die
1990er Jahre Lehrer waren. Auch sie brachten ihre Sprache
ein, die heute nicht mehr alle verstehen. Sie nannten
einen Menschen, der witzig war und gute Pointen brachte,
eine „Granate“ und meinten damit die Schlagartigkeit, mit
der jemand Dinge Wirkung erzielen konnte. II. Sprache als Abgrenzung und Irreführung Jargon und Bezugsfelder von Pointen machen erkennbar, dass gewisse Funktionsweisen von Sprachen regional und zeitlich begrenzt bleiben, wodurch eine universelle Verständigung durch Sprache unterlaufen wird. Statt vom Paradigma der Kommunikation auszugehen, kann man Sprachen auch als Mittel der Abgrenzung definieren. Esperanto ist immer nur eine Sprache unter anderen geblieben, die von Wenigen benutzt wird, und die europäischen Nationalsprachen sind Ergebnis einer mit der Neuzeit beginnenden Emanzipation der Regionalsprachen gegen die ‚global’ agierenden, Lateinisch sprechenden Eliten. Vielleicht geht der Antrieb zur Entwicklung von Sprache in beide Richtungen und führt so zur Abstraktion von Bedeutung und Aussprache. Ist eine Gruppe entstanden, die eine Sprache versteht, wird nicht nur bemerkt, dass man sich untereinander versteht; es wird auch offensichtlich, dass man sich gegenüber anderen abgrenzen kann, indem man tuschelt oder die Sprache so modifiziert, dass sie außerhalb der Gruppe nicht mehr oder nicht mehr richtig verstanden wird. Auf diese Weise ist das Niederdeutsche mit den Sprachen unserer Nachbarn in Holland und Dänemark verwand. Wenn man aber das |
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