MOMENT. der Monaden – eine interaktive Installation
Sonja Schierbaum

„Die Lücke zwischen Vergangenheit und Zukunft öffnet sich
nur in der Reflexion, deren Gegenstand das nicht
Gegenwärtige ist – das bereits Verschwundene oder
das noch nicht Erschienene.“
Hannah Arendt, Vom Leben des Geistes:das Denken, S.201.


Wo sind wir, wenn wir denken?
Der Ort des Denkens
Nach Hannah Arendt katapultiert uns das Denken im übertragenen Sinne aus dem gewöhnlichen Fluß der Zeit und der Zeiterfahrung hinaus in ein „Nirgendwo“, eine „Art „Lücke“ zwischen Vergangenheit und Zukunft, einen „stehenden Augenblick“ (nunc stans): Nur der Mensch kann den ansonsten gleichförmig dahinfließenden Strom der Zeit – zumindest in seiner Erfahrung – unterbrechen und der Zeit einen Zielpunkt bieten, auf den Vergangenheit und Zukunft zulaufen: dieser Punkt ist die Gegenwart.

Denken als Dialog mit sich selbst

Indem der einzelne denkt, spricht er nach Arendt mit sich selbst: Das Denken ist in seinem Wesen dialogisch, nicht monologisch. Deshalb ist der Satz vom Widerspruch (etwas kann nicht zugleich wahr und falsch sein) die Regel, die es dabei zu beachten gilt. Gerade weil wir uns im Denken in zwei Dialogpartner aufspalten können, besteht die Möglichkeit und die Gefahr, daß diese ‚Partner’ gegensätzliche Positionen vertreten und einander widersprechen. Dies gilt nicht nur für das Denken, sondern insbesondere auch für das Handeln: So sollten wir z.B. Handlungen, die wir mißbilligen, schon allein deshalb nicht ausführen, weil wir uns nicht ernsthaft wünschen können, mit einer Person zusammenzuleben, deren Taten wir nicht billigen können. Begingen wir aber eine schlimme Tat, etwa einen Mord, so hätten wir uns selbst dazu verurteilt, unser Leben mit einem Mörder zu verbringen, denn die einzige Person, die wir niemals verlassen können, ist unsere eigene. Das (ethisch schlechte) Gewissen beruht auf nichts anderem als dem Prinzip des dialogischen Denkens.

Moment der Monaden
G.W. Leibniz (1646-1716) verwendet das von ihm geschaffene Kunstwort der „Monade“ erstmal 1696. „Monás“ ist griechisch und bedeutet „Einheit oder Einfachheit“. Damit soll über

die bloß zahlenmäßige Verschiedenheit hinaus – auch bei zwei Gegenständen, die einander gleichen „wie ein Ei dem anderen“, handelt es sich um zwei verschiedene Gegenstände – die „qualitative“ Verschiedenheit, d.h. die Einzigartigkeit oder Individualität jedes Menschen – zum Ausdruck gebracht werden.

Es ist der einzelne, der aus der ihm je eigenen Perspektive auf die Dinge den Punkt finden kann, an dem er den gewöhnlichen Lauf der Zeit zumindest im Denken unterbrechen und reflektieren kann, und von dem aus er wiederum den „Hebel ansetzen kann“, wenn er aus dem Denken zu seinen Alltagsgeschäften zurückkehrt: Die Tätigkeit des Denkens ist wie die Kraft, die als Drehmoment auf den Kreislauf des Alltags wirkt. Denn nur indem wir denken, können wir letztlich zwischen gut und schlecht, zwischen richtig und falsch unterscheiden: Ob wir mehr oder weniger nachdenken, überträgt sich auf die Abläufe in unserem Alltag, in ganz praktischer wie auch in ethischer oder moralischer Hinsicht.

Wo also ist der Punkt, an dem jeder einzelne im Denken den gewöhnlichen Ablauf seiner Alltagsgeschäfte zum Stillstand bringen oder unterbrechen kann?



Sascha Lemke, geb. 1976 in Hamburg, ist Komponist und seit 2016 Professor für Musiktheorie an der Musikhochschule Lübeck.  Er erhielt zahlreiche Stipendien und Auszeichnungen, etwa das Bachpreis-Stipendium der Stadt Hamburg und den Hindemith-Preis 2010. Seine Werke wurden u.a. bei der Münchener Biennale für zeitgenössisches Musiktheater, der Gaudeamus Musik Week (Amsterdam) und dem Shanghaier Frühlingsfestival aufgeführt. 2013 wurde er Mitglied der Freien Akademie der Künste.

Sonja Schierbaum, geb. 1977 in Hamburg, ist Philosophin und zurzeit an der Universität Hamburg als wissenschaftliche Mitarbeiterin tätig mit einem von der Deutschen Forschungsgemeinschaft geförderten Projekt zur Vereinbarkeit von Rationaliät und Freiheit von Handlungen. Sie veröffentlicht auch literarische Texte in Anthologien und Zeitschriften. Sie wurde u.a. eingeladen zu der einjährigen Schreibwerkstatt IN ZUKUNFT III, am Westfälischen Landestheater (2015). Zusammen mit Mehdi Moinzadeh nahm sie mit der Lecture-Performance Maschinen.Sprechen: MACHT am soundcheck-Festival zur performativen Philosophie 2016 in Leipzig  teil. 

Interaktive Installation Moment.der Monaden.
Text Sonja Schierbaum, Klang/Elektronik Sacha L.Lemke
youtube_ Moment.der Monaden
Text Sonja Schierbaum
Präsentation
Situationen 14.12.17
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