Der innere Ton und der aeussere Laerm: Dr. Annelen Kranfuss

predigthafte Redeformen wählt – zu denen auch die Spruchweisheiten des Briefs an seinen Sohn Johannes gehören –  in seiner zweiten Lebenshälfte entstehen auch die großen Gedichte, die heute noch für uns zum Bestand deutscher Verskunst gehören:  die anrührenden Verse nach dem Tod von zweien seiner Kinder, das „Kriegslied“, die Abendgedichte: „Der Mond ist aufgegangen“ und „Die Sternseherin Lise“.


Auch im Gedicht der Sternseherin Lise geht es um Äußeres und Inneres. Das Gedicht spricht in erster Linie vom Sehsinn. Außen und Innen stehen sich als Gegensatz von sichtbar und unsichtbar gegenüber. Zwei Weisen der Wahrnehmung des Unendlichen sind das – außen im überwältigenden Anblick des Sternenhimmels, dessen hörbare Stille hineingenommen wird nach Innen, in die stille Kammer des Hauses, in der nur noch schweigende Sehnsucht Platz hat, die am Gedichtende ganz ins Wortlose übergeht. In der Gedichtform selbst ist mit dem Gegensatz der klangvollen Vokale zum hörbaren Schweigen ein tonaler Gegensatz gestaltet, der den von Innen und Außen überschreitet.


Die Sternseherin Lise

Ich sehe oft um Mitternacht,
  Wenn ich mein Werk getan
Und niemand mehr im Hause wacht,
  Die Stern am Himmel an.

Sie gehn da, hin und her zerstreut
  Als Lämmer auf der Flur;
In Rudeln auch, und aufgereiht
  Wie Perlen an der Schnur;

Und funkeln alle weit und breit,
  Und funkeln rein und schön;
Ich seh die große Herrlichkeit,
  Und kann mich satt nicht sehn …

Dann saget, unterm Himmelszelt,
  Mein Herz mir in der Brust:
„Es gibt was Bessers in der Welt
  Als all ihr Schmerz und Lust.“

Ich werf mich auf mein Lager hin,

  Und liege lange wach,
Und suche es in meinem Sinn,
  Und sehne mich darnach.

Gefördert von der Kulturbehörde der Freien und Hansestadt Hamburg und Bezirk Wandsbek 
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