Maria und Natalia Petschatnikov:
Das Gegenteil - Installation

14.04. - 06.05.05
Einführungsrede


Liebe Freunde und Gäste des EINSTELLUNGSRAUM,

herzlich willkommen zur Ausstellung das Gegenteil von Maria und Natalia Petschatnikov.
Das Gegenteil, das ist der Beitrag der Zwillinge aus St. Petersburg zu unserem Jahresthema Das Paradies und das Auto. Was ist Gegensätzlicheres zu denken als die Raserei der Straße und die Ruhe des Paradieses, die als Qualität sich zumeist in der Imagination sogleich einstellt.
Ich begrüße Maria und Natalia hier noch einmal sehr herzlich. Ich freue mich, dass Sie sich auf unser Projekt eingelassen haben.
Bevor Sie sich in die Betrachtung der Ausstellung von Maria und Natalia begeben, erlauben Sie mir wenige Anmerkungen.
Ich spreche hier an Stelle der professionellen Kunsthistorikerin, mit der wir im Vorjahr erfolgreich zusammenarbeiten konnten. In diesem Jahr werden es noch junge Studentinnen der Kunst- geschichte sein, die aber leider noch nicht zur Stelle sind. Wir befinden uns zur Zeit in der Wildbahn von Werteumwälzungen, versperrten und geöffntene Finanzströmen unsichbarer Macher und -innen, vernetzt in widersprüchliche öffentliche Intentionen, sozusagen im wilden Wald. Es wächst das, was irgenwoher Licht und Nahrung bekommt, - Zuwendung eben -, wie es so schön heißt; diese Zuwendung gegeben mit Hilfe von Luftwurzeln oder meterlangen unterirdisch bohrenden Rhizomen, um im Bild zu bleiben.

Was bedeutet dies für die aktuelle Ausstellung?
Die Ruhe des Paradieses ist für MNP die behütete Kindheit, mit eindeutigen Regeln zum Wohlbefinden. Ihrer lebendigen Neugier folgend kam es dazu, dass sie dort ausgebrochen sind, sozu- sagen einen Ausflug gemacht haben nach Amerika und Frankreich, Nord-und Südeuropa und nun Deutschland. Einfach um zu werden, sich zu erproben, setzen sie sich den Kräften in den Stoffen und geformten Dingen aus, um diese so zu verwandeln und umzusetzen, dass der eigene Weg zum inneren Paradies, zur "Weisheit" entsteht, als Weg der Balance zwi- schen dem Einen und seinem Gegenteil.
MNP sind schon zwei des gleichen Entwurfs, immer gegenseitig mit sich im Gespräch, eine die andere in sich befragend. Das Paradies der gehegten Kindheit im Rücken haben sie die prästabilisierte Harmonie verlassen, um sich herauszubewegen, Fehler zu machen, den Zufall zu provozieren, welcher Erkennt- nis ermöglicht. "Ohne Regelverletzung keine Kunst", sagen sie.
 
Auf diesem Weg sind sie inzwischen erfolgreich vorangeschritten. Preise und Stipendien legen davon Zeugnis ab.

Sie sind zu Zweit ja nie allein. Insofern bevorzugen sie in der bewegten Form nicht den einzelnen Pfeil sondern gern den Schwarm, wie den von Vögeln und Fischen.
Leicht ist diese Form, heiter. Ironie und Humor sind MNP wichtig.
Das Auto interessiert sie insofern als Element der menschlichen Neugier, der Sehnsucht, den Körper dorthin zu transportieren, wohin der Spirit schon geflogen ist, -das Auto eine Monade mit zwar potentiell begrenztem aber doch vielseitig orientierendem Bewegungsradius, wie es die hier zu sehenden "Auto"mobilen Kugeln vorführen.
Insofern sehen MNP die Gegend jenseits des Paradieses nicht als wilden bedrohlichen Wald sondern als herrliches Chaos, den Urstoff der Griechen, der in der patriarchalen Welt des Mittelalters dämonisiert, inzwischen zum Material bzw. Rohstoff reduziert für den arbeitenden Künstler, die Künstlerin Aufforderungscharakter besitzt.

Diesen unkontrollierten Garten gleichsam, die alltägliche Welt bezeichnen MNP als ihr Atelier, in das wir nun als BetrachterInnen eingeladen sind. Wir finden da sog. natürliche Stoffe, Organismen wie Blumenzwiebeln ebenso wie technische Gebilde: Batterien und Ventilatoren, aber auch Speichermedien wie Zeitungsausschnitte oder Kartons. Alle Elemente in überraschender Koexistenz, so dass sich neue Bezüge ergeben zwischen oben und unten, wachsen und verwandeln. Manches sieht von weitem anders aus als es aus der Nähe betrachtet ist, so die zeichenhaften Fadenelemente, die wie Fingerprints Wände und Gegenstände vegetabilisch in viele Richtung überziehen.


Vielleicht kennen Sie das großartige Bild von Courbet: das Atelier, in welchem er nach Aussage von Werner Hofmann die Moderne vorwegnimmt, das Bild und den Betrachter zugleich inszeniert und den Blick in Verbindung mit künstlerischer Tätigkeit thematisiert, der aus der Höhle der Gewohnheiten herausführt. Es wurde 1855 gemalt, ca. 10 Jahre bevor der erste Motor lief.
Sie als BetrachterInnen sind nun aufgefordert, sich hier mitten im Atelier Ihre eigenen Wege zu suchen, zu reisen, eigene Sinnzusammenhänge herzustellen, Sinn zu stiften. Vielleicht beginnen Sie an der Montage auf zartem Seidenpapier: die Andere und die Eine, Gegenteil oder Verwandlung, das Gewendete, das Verwandte.
Ich wünsche Ihnen Lust am Entdecken, Erforschen, In-Beziehung-setzen.
Im Keller noch eine Überraschung, die Baustelle, oder vielleicht ein Garten?
Sehen Sie selbst.
Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.
E. Suhr / 04.05

back