über die Sichtbarkeit ihres eigenen Körper, sondern ihr Mann. Es bleibt sein unum-schränktes Privileg, sie nackt zu sehen, ebenso wie nur er gestatten darf, dass sie ihr Haar schneidet (13).
Gerade angesichts der gegenwärtigen Ereignisse im Iran wird deutlich, wie sehr die Kontrolle der Sichtbarkeit des Körpers vor allem ein Instrument der Unterdrückung sein kann (14).

Im Gegenzug kann die weibliche Selbstentblößung, sei es die der Haare, des Gesichts oder der Brüste, als Akt des Protestes gegen die männliche Kontrolle verstanden werden.
1968 schockierten drei Studentinnen die Öffentlichkeit mit dem sog. „Busenattentat“ auf Adorno während einer Vorlesung (15). Seit 2008 protestiert die in Kiew gegründete feministische Gruppe „Femen“ programmatisch mit dem Mittel der Selbstentblößung. Und gegenwärtig protestieren die persischen Frauen gegen die patriarchalische Unterdrückung, indem sie ihre Kopftücher verbrennen und die Haare schneiden.

Auch die rituelle Nacktheit, die in vielen Zirkeln des Wicca-Kults, also des modernen Hexentums, praktiziert wird, kann man als eine Revolte gegen die patriarchalen und prüden Buchreligionen verstehen, die die Frauen über 2000 Jahre systematisch entrechtet haben (16).

In den säkularisierten, westlichen Gesellschaften allerdings erleben wir die Nacktheit in der Regel nicht als Selbstentblößung, sondern als verlangt und erzwungen vom männlichen, pornographisierten Blick, dessen Zustandekommen Edward Albee in dem eingangs erwähnten Zitat beschrieben hat.
Bis in das frühe 21. Jhd. wurde also die Frau unter anderem beherrscht durch die Kontrolle des Grades der Entblößung, entweder in Form der Verhüllung oder der ausbeuterischen Zurschaustellung. Die Stigmatisierung des weiblichen Körpers und die daraus resultierende Dichotomie „Heilige oder Hure“ blieb die gleiche.

Doch in den letzten 20 Jahren haben sich die Wege der Bilder in die Öffentlichkeit paradigmatisch verändert. Gab es im 20. Jhd. noch eine überschaubare Anzahl von Massenmedien, die meist von Männern kontrolliert wurden, und die alle Inhalte nach eigenem Gusto streng filterten, steht es heute jedem Menschen mit einem digitalen Endgerät offen, seine Beobachtungen, seine Meinung und vor allem sich selbst der Weltöffentlichkeit zu präsentieren.
In seinem Essay „Transparenzgesellschaft“ erörtert Byung-Chul Han ausführlich die neuen Mechanismen und Bedingungen dieses Systems der Selbstentblößung. Nicht mehr die Einzelnen sind es, die mit ihrem Habitus, mit ihrer bewertenden Perspektive die herrschende Struktur aufrecht erhalten, sondern die Struktur hat begonnen,  sich in einem kommunikativen Netzwerk  zu dessen Bedingungen zu verselbständigen.

In den sog. Sozialen Netzwerken werden das Gesicht, der Körper, Lebensführung und Identität nur noch nach ihrem Ausstellungswert bemessen, der sich in anonymen Klicks zeigt. In dem Bedürfnis nach sozialer Anerkennung und Einbettung unterwerfen sich die Nutzer*innen den Forderungen und Vorlieben einer nicht näher definierten Öffentlichkeit. Alle Äußerungen des Lebens werden auf eine Maximierung des Publikums und dessen Zuspruch abgestimmt.
Es geschieht eine Anpassung an das statistische Mittel der Werte, Bedürfnisse und Begierden - eine Anpassung an den Mainstream.
Und es geschieht eine entsprechende Umwertung des eigenen Lebens nach dessen Ausstellungswert. Befriedigung wird erzielt, indem der Blick der Öffentlichkeit befriedigt wird, und der ist noch immer geprägt von der männlichen, pornographisierten Perspek-tive. Selbst wenn eine intentionelle Selbstentblößung im Sinne der Selbstermächtigung im Physischen oder Psychischen stattfindet, muss sie sich, um wahrgenommen zu werden, den Herrschaftsstrukturen des öffentlichen Blicks unterwerfen, um überhaupt eine Öffentlichkeit zu generieren. Dazu wiederum müssen mögliche Makel beseitigt werden (17).

Um vermeintliche Fehler des Körpers zu beseitigen wurde bis vor kurzem vor allem auf Make Up und plastische Chirurgie zurückgegriffen, heute sind es in erster Linie digitale Filter für Fotos und Videos, die jedem zur Verfügung stehen und die Körper und Gesicht nach Wunsch digital optimieren. Zudem wird ein Muster bereits erfolgreicher Posen und Bildzitaten reproduziert, die mögliche Unsicherheiten mit der eigenen Körperlichkeit oder deren individuelle Züge verdecken.

Auf der Ebene der Persönlichkeit drückt sich die Anpassung an den Mainstream vor allem durch die Übernahme von Phrasen, Floskeln und aktuellen Sprachmoden und -regularien aus. Auch diese Umformung sprachlicher Äußerungen dient vor allem dazu, eine Persönlichkeit zu verbergen, die im Auge der Öffentlichkeit als mangelhaft erscheinen könnte.
Die  10. Ausstellung im Jahresprogramm Autonom? des EINSTELLUNGSRAUM e.V. 2022
Präsentation
Vernissage mit Elementen der Performance
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