Technik und Natur - Ambivalenz und Inversion. Eröffnungsrede zur Ausstellung "Janine Eggert - Superposition“ von Dr. Thomas J. Piesbergen
Die Ausstellung "Superposition" von Janine Eggert  im EINSTELLUNGSRAUM fand statt im Rahmen des Jahresthemas 2017 DREHMOMENT.

Wenn wir uns heute in unserem Lebensumfeld umsehen, sehen wir eine Welt, die vom Menschen gestaltet worden ist. Eingebettet in eine bereits weitgehend überformte Biosphäre befindet sich unsere eigentliche Umwelt, die Technosphäre.
Abgesehen von der Restnatur tritt uns kaum noch etwas entgegen, das nicht in erster Instanz vom Menschen gestaltet worden ist oder ein entropisches Abfallprodukt menschlicher Tätigkeit darstellt. Der Mensch lebt in einem Kontext, der das Ergebnis einer kulturellen Transformation ist. Allerdings hat der Prozess dieser Transformation inzwischen eine Stufe der unkontrollierten Hypertrophie erreicht, und droht nun, ähnlich einem Krebsgeschwür, den Wirtsorganismus, die natürlich Umwelt, zu überwuchern.

Am Anfang der Kultur sehen wir ein umgekehrtes Kräfteverhältnis: Nicht die umgebende Natur ist bedroht, sondern die kulturelle Sphäre des Menschen scheint ein schützenswertes, hochempfindliches System zu sein. In der Bildsprache des frühen Neolithikums stehen sich immer wieder die gezähmte Welt des Menschen und die todbringende Welt der wilden Natur gegenüber. Alle Aspekte des neolithischen Handelns schienen darauf abzuzielen, das Überleben der menschlichen Kultur in einer furchteinflößenden und übermächtigen Umwelt zu gewährleisten, während auf lange Sicht die Natur in zunehmendem Maße transformiert und in kulturelle Strukturen überführt wurde.

Dieser Prozess setzte sich ungebrochen fort, und die Bewertung des Verhältnisses von Mensch und Umwelt blieb über die Jahrtausende unverändert. Der große Paradigmen-wechsel bahnte sich erst im 18. Jahrhundert an und vollzog sich voll ausgebildet im frühen 19. Jahrhundert. Der entscheidende Impuls war die Entwicklung der Dampfmaschine, die die transformierende Wirkkraft des Menschen um ein Vielfaches erhöhte. Endlich schien der Mensch den Sieg im Kampf mit der Natur errungen zu haben. Endlich schien der biblische Auftrag gelungen, sich die Erde Untertan zu machen.

Gleichzeitig aber erschuf sich der Mensch mit der industriellen Technik ein zweites Gegenüber, das ihm nicht nur die Macht zur Beherrschung der Natur verlieh, sondern das ein eigenes Leben zu entwickeln schien:
In der Literatur tauchten zur selben Zeit die ersten Visionen von autark und bewußt handelnden Maschinen und Robotern auf ( z.B. Die Automate und Der Sandmann von E.T.A. Hoffmann oder The Steam Man of the Prairies von Edward S. Ellis).
Mit dem „Schachtürken“ wurde ein vorgeblicher Schachspielautomat gebaut, von dem behauptet wurde, er wäre tatsächlich in der Lage selbst zu denken, und schließlich entwickelte Ada Byron Lovelace für die analytische Maschine des Charles Babbage um 1840 die erste Programmiersprache der Welt.

Die unterschwellige Angst, sich eine Gegenwirklichkeit geschaffen zu haben, die sich irgendwann gegen den Menschen auflehnt, wie wir es auch in dem ebenfalls in dieser Zeit entstandenen Roman Frankenstein von Mary Shelley finden, korrespondiert mit der begin-nenden Entfremdung des Menschen von seiner Arbeitswelt. In den erbarmungslos laufenden Maschinen begegnet er einem Gegenüber, dem er sich im Arbeitsalltag auf Gedeih und Verderb unterzuordnen hat.

Auf der anderen Seite erleben wir zur selben Zeit in dem Kulturphänomen der Romantik eine erstaunliche Inversion des Naturverständnisses: Nicht mehr die Errungenschaften der Kultur erscheinen als die menschlichen Aspekte der Wirklichkeit, sondern die Natur selbst wird zu der wahren Heimat des Menschen, in der er, aus einer bedrohlichen technischen Umwelt fliehend, Zuflucht nimmt.

So heißt es in Die Automate von Hoffmann, der vollkommene musikalische Ton könne niemals aus einem Automaten kommen, er müsse naturnah sein. Als Beispiel wird die Faszination angeführt, die eine Äolsharfe auf den Zuhörer ausübt. Will man also als Musiker, der E.T.A. Hoffmann ebenfalls gewesen ist, einen vollkommenen Ton erzeugen, der das menschliche Herz tief berührt, ist es notwendig, nicht auf seine technisch-kulturellen Fähigkeiten zu vertrauen, sondern auf die uns innewohnende Natur zurückzugreifen und sie durch uns hindurch sprechen zu lassen.
Der Arzt und Philosoph Gotthilf Heinrich Schubert schrieb in seinen Ansichten von der Nachtseite der Naturwissenschaft von 1808, der Kunsttrieb des Menschen sei nur dann erhaben, wenn er als Organ der Natur fungiere. Und erst dadurch werde er wirklich menschlich.

Präsentation
Vernissage
Gefördert von der Kulturbehörde der Freien und Hansestadt Hamburg und Bezirk Wandsbek
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