Man kann sich jedoch auf keinen Fall mit Ignoranz aus dieser Affaire stehlen, indem man die festen kulturhistorischen Verfugungen nicht beachtet. Ich komme deshalb zurück auf die seit Jahrhunderten festgelegte Symbolik in diesen Verkaufshilfen und in den zum Kauf angebotenen Pflanzen.
Das Bildmotiv der Maria in einem ummauerten Garten geht zurück auf eine Interpretation des Hohen Liedes des Alten Testamentes. Dort heißt es:
"Ein verschlossener Garten ist meine Schwester Braut, ein verschlossener Garten, ein versiegelter Quell" (Hohes Lied, 4,12) Pflanzen, die man dann mit Sicherheit auf diesen Bildern finden kann, sind: Akelei, Erdbeeren, Veilchen, Iris, Maiglöckchen, und Lilien natürlich.

Die Akelei gilt als Zeichen für Demut und Anbetung. Man sah darin auch die Sorgen der Jungfrau Maria symbolisiert, da man in dem französischen Namen Ancholie die Verkürzung von Melancholie sah, aber sicher auch konkretistisch wegen des Hängeköpfchens. Gleichzeitig symbolisierte die Akelei Potenz. Einer jungen Frau im 17. Jahrhundert einen Akeleistrauß zu schenken, galt aufgrund der sexuellen Symbolik der Pflanze als hochgradig unschicklich.
Erdbeeren sind ein Symbol der Weltlust, der Verlockung und der Sinnenfreude. Es sind Pflanzen mit rosenförmigen Blüten, die keine Dornen ausbilden, deren Beeren ohne Kern und Schale sind, und die gleichzeitig fruchtet und blüht.
Veilchen (Viola) gelten als Symbol für Bescheidenheit und Demut der Rechtschaffenen. Die Früchte symbolisieren aber auch sinnliches Verlangen.
Die "Weiße Lilie", die Madonnen-Lilie steht für die Unschuld, in der christlichen Ikonographie also insbesondere für die Muttergottes.

Das Maiglšckchen, steht für Seelenreinheit und Demut, schon wieder Unschuld der Maria und das ewige Heil in Christus. Die medizinische herzstärkende Wirkung des Maiglöckchens war bekannt. Die Ärzte des 16. Jahrhunderts erwählten es darum als ihr Berufs-Emblem. Man nannte es dann gleich mal "salus mundi", Heil der Welt.

Das alles sind vereinbarte, also scheinbare Sinnzusammenhänge, die obendrein auch immer schön in sich ambivalent sind und dem Gefachsimpel Tür und Tor öffnen, 
welches dann garantiert nichts mehr mit der Sache, in diesem Fall mit der Ausstellung zu tun hat. Dass man jenseits des Scheins von allen diesen Pflanzen allergisch werden kann, besonders von Erdbeeren und Lilien, und dass man Säuglinge nicht in einem Maiglöckchenfeld ablegen sollte, da die Pflanze giftig ist, wird nicht zum Thema der Kunstgeschichte gemacht. Genauso wenig, wie man den Sound von gestressten Pflanzen, den Susanne Bartsch hier abgespielt, normalerweise beachten kann, den man sich nun jedoch als für unsere Ohren vernehmbaren Schmerz dieser Pflanzen in den Wassereimern vorstellen muss.

Diese Klänge sind irritierend, und - zu wissen, dass Pflanzen brüllen und jaulen, während sie sterben, denn das ist gewiss, sie sterben, aber haben sie dabei Schmerzen? Und wie ließe sich das für uns erfahrbar machen, oder ist der Sound eindeutig? - Wohl nicht, denn auch bei der Deutung von Wohl- oder Missklängen,  haben wir es  mit Verabredungen zu tun. Nun, diese akustische Information lässt sich im Hirn auf der selben Höhe abspeichern wie die Information, dass Kühe mehr Milch geben, wenn sie mit Kompositionen von Mozart beschallt werden. Es ist eigenartig, vielleicht sogar einleuchtend, berührt uns aber nicht wirklich, da wir weder zu Kühen noch zu Pflanzen ein Verhältnis haben, welches sich mit den sozialen Verhältnissen unter Menschen messen lassen könnte, und für das wir so fabelhafte Methoden der Kommunikation entwickelten, in welchem Verhältnis verschenkte Blumensträuße eine nicht unwesentliche Rolle spielen, - aber nicht als Zeichen höchster Marter.

Im Keller hören Sie den hochgradig artifiziellen Gesang von Maria Callas, das rührt uns eher, jedenfalls ist es nicht verboten, in der Oper zu weinen, während Blütenköpfe von weißen und violetten Callas vertauscht und wieder angeklebt werden, und sicher ihr Geheul von sich geben, was wir aber nicht hören. Wir hören das Geräusch, welches beim Abrupfen der Stengel entsteht, in Kombination mit einer Sopranarie aus einer Puccini Oper.
Blumensträuße zu zerfleddern ist ein Angriff auf das Scheinhafte des Symbols der Pflanze und dessen, was sie symbolisiert, sowie eine, jenseits der Symbolik, offen aggressive Tat. Das nachträgliche Wiederankleben schließt dann den Kreis, den ich anfangs wortreich beschrieb: man muss sich fügen in das Artifizielle, in den Gesang von Maria Callas, das Scheinhafte jeglichen Ausdrucks - den Umstand, dass sich Symbole so schnell nicht beschädigen lassen. Auch - und gerade, wenn man ihnen den Kopf abreißt, inauguriert man sie erneut in ihrer Symbolkraft.

Nora Sdun, 2007

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