Doch natürlich reicht es der männlichen Logik nicht, die Frau zu kontrollieren und zu entmachten. Auch ihr vormaliger Herrschaftsbereich, die fruchtbare Natur, muß profanisiert und erobert werden. Entsprechend heißt es im ersten Buch Mose, Vers 28 „...füllet die Erde und machet sie Euch untertan.“
Hier wird die Trennung zwischen Mensch und Natur erstmals explizit ausgesprochen. Und sie wird wiederholt durch die Vertreibung aus dem Garten Eden, der die Menschen vorher bedingungslos wie eine Mutter umhegt und ernährt hat. Statt dessen werden sie in eine Ödnis verbannt und müssen sich von einem Acker nähren, der von Gott verflucht worden ist und statt Früchten nur Dornen und Disteln hervorbringt. Anstelle einer lebensspendenden Mutter Erde ist der Mensch nun mit einer feindlichen Natur konfrontiert und muß sich die Anerkennung seines Gottvaters durch Demut, Gehorsam und zähen Kampf erarbeiten. Damit ist die Idee des Homo Faber geboren, des Homo Technicus, der nur in seinen Bemühungen der Naturkontrolle eine Daseinsberechtigung findet.

Blicken wir von den alt-testamentarischen Zeiten in die Zukunft, begegnen wir diesem Homo Technicus wieder in den Büchern von Stanislaw Lem als Techniker, der in einem fernen Sonnensystem mit der Solaris, einem lebendigen und ihm völlig fremden Meeresplaneten konfrontiert wird, an dessen Geheimnissen sich bereits Generationen von männlichen Wissenschaftlern die Zähne ausgebissen haben. Die Solaris, die vom Menschen unberührte, fruchtbare Welt, stellt dem Protagonisten des Romans eine Wiedergeburt seiner toten Frau an die Seite, die für ihn ein ebenso unbegreifliches Rätsel bleibt, wie die Solaris, wie seine Frau, wie die Welt, wie er selbst.


In der Ausstellung „...dreh dich noch einmal um…“ von Cristine Carstens begegnet uns die Natur in zweierlei Form.

Im Keller des Einstellungsraums sehen wir eine Wolldecke, die eine Naturansicht zeigt, beschnitten und auf eine Platte gespannt. Wir wissen: sie hat einmal gewärmt und geschützt, doch nun ist sie zweckentfremdet und nur noch ein Abbild, eine Erinnerung an den Garten Eden. Darauf, unproportional groß, sitzen zwei Schnecken, die ebenfalls aus dem Decken- stoff geformt sind.
Quer über die Decke ist in großen, unbeholfenen Buchstaben das Wort „tempered“ geschrieben. Das Wort wirkt wie der Versuch einer Einordnung, einer Bestimmung des Zustandes der Natur, eine Kontrolle der Interpretation durch eine plakativ aufgebrachte Begrifflichkeit. Doch ebenso unbeholfen wie die Schrift ist auch die Wahl des Begriffs.

Denn das Wort „tempered“ ist alles andere als eindeutig. Tatsächlich wird das Wort im Englischen fast nie ohne Beiwörter verwendet, die den Charakter genauer bestimmen. So kann es als ill-tempered, hot-tempered, even-tempered, well-tempered, bad-tempered etc. nahezu alle Arten von Launen von gutmütig und gemäßigt über griesgrämig bis hitzig und heftig zum Ausdruck bringen.

So scheitert der Versuch, die Natur durch eine Definition ihres Charakters einzugrenzen und zu kontrollieren auf ganzer Linie. Sie bleibt verschlossen und verbirgt ihr Inneres, wie die auf der Decke applizierten Schnecken.
Auch der Ausschnitt aus der Uferszenerie, die ursprünglich sicher als idyllisch konzipiert gewesen ist, ist so gewählt, daß dunkelbraune Töne dominieren und Schatten den Blick auf Details verwehren. Die Natur verweigert sich dem scharfen, analytischen Blick und verbirgt sich im Vagen, Dunklen und Unscharfen.
Und als kommentiere sie schließlich ironisch den Versuch, sie mit einem Begriff festzunageln, folgt dem Wort „tempered“ auf dem Deckenmotiv eine Reihe heller Punkte, Kiesel oder Lichtreflexe. Wie drei angefügte Punkte im Schriftbild markieren sie die Bestimmung „tempered“ als nicht abgeschlossen und fragwürdig.

Vor der Arbeit auf dem Boden steht ein rotierendes Licht. Es dreht sich unablässig um sich selbst und läßt dabei einzelne, schwache Lichtstreifen über die Uferszene gleiten, die an die abtastenden Lichtstreifen eines Scanners erinnern. In dem nahegelegten Kontext könnte man es lesen als Metapher für einen weiteren männlichen und unzulänglichen Versuch, die entfremdete Natur mit logisch-technischen Hilfsmittel zu überwachen und zu verstehen.

Die Wolldecke erscheint auch in der zweiten Arbeit als zentrales Element. Aus ihr ist die Silhouette eines Frauenkopfes mit wallendem Haar geschnitten. Der Abschnitt der Decke ist so geschickt gewählt, daß nicht nur die Haare des Kopfes als dunkle Fläche abgesetzt sind, sondern sogar Augenlid und Wimpern von einigen hellen Flusen nachgezeichnet werden.


Um den Frauenkopf herum sind Fragmente eines schmiedeeisernen Zauns gelegt, darum in zwei gegenläufigen Spiralen, Speichenreflektoren von Fahrrädern. Dadurch wird der Frauenkopf, in dessen Wollsilhouette die Kräfte „Frau und Welt“ bzw. Frau und Natur zur Deckung gekommen sind, zum Zentrum einer Bewegung, zum Mittelpunkt, um den sich die Realitätskonstruktion des Mannes dreht.

Präsentation
Vernissage
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