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Ina
Bruchlos: Schneekugel,
2002
40 x 30 cm, Acryl auf Nessel |
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Ina Bruchlos, Installationsfoto, Aschaffenburg 2003 |
Göttinger Sieben Diesmal
ist
es die ' Göttinger Sieben',
die mich nach Hamburg bringt, zu dieser coolen Stadt an der Elbe. Cool, sagte ein Engländer zu mir, als ich behauptete, ich käme aus Hamburg - der Stadt, aus der ich ja eigentlich gerade nicht komme, nie gekommen bin. Cool, Hamburg, das, was der Hanseat sofort merkt, was ihn aufhorchen lässt, dieser Akzent, den ich ja nun einmal habe, der dem Engländer dagegen verschlossen blieb. Schlechtes Englisch bleibt schlechtes Englisch, und auch der Hanseat verfehlt das th. Vielleicht ein bisschen zu cool., meinte ich zu meinem Gegenüber, das mich nicht verstand - vielleicht ein bisschen zu englisch. Auch meinen Vater versteht nie irgendjemand, die Welt nicht meinen Vater, und mein Vater nicht die Welt. Mein Vater hört schlecht, und die Welt versteht schlecht, und wenn sie dann auch noch englisch spricht, hat mein Vater sowieso verloren, denn dann fehlen ihm die Vokabeln, und manchmal fehlen sie ihm aus Absicht, einfach um sein Gegenüber doppelt zu demütigen. So meinte er zum Beispiel an Weihnachten zu der amerika- nischen Freundin meines Cousins, sie sehe aus wie Witwe Bolte. Natürlich kennt niemand in der Welt - am wenigsten in der neuen, diese Person, vielleicht wird sie noch Wilhelm Busch im Gedächtnis sein, aber der ist tot und weg, saß nicht an dem weihnachtlichen Billardtisch, in Memlingen, der jedes Jahr mit einer schwarzen Sargplatte abgedeckt wird, damit der Fisch nicht auf den Filz tropft. Es entbrannte in der Runde eine Diskussion, wer um alles in allen Welten Witwe Bolte sei, und wer einen leisen Verdacht hatte, diskutierte, wie man das in ameri- kanische Häppchen verpacken könnte. Von "widow Boltee" war die Rede, ihrer suspekten Frisur und ihrem zänkischen Wesen. Elaine suchte selbst nach der englischen Beschreibung für zänkisches Wesen, und ich dachte: Gar nicht schlecht. Ich erinnerte mich an meine zarte Jugend, in der ich von meinem Vater zum Lexikon geschickt wurde, weil ich genauso wäre, wie das zu findende Wort. Natürlich fand ich das Wort, und natürlich war es eine Beleidigung, die ich aber nicht von meinem Vater, sondern vom Lexikon selbst zu hören bekam, -wissenschaftlich untermauert, und irgendwie kam ich ja auch selbst drauf. Gar nicht schlecht, dachte ich, aber Elaine bekam schon das nächste Wort in Auftrag, das keiner mehr erklären wollte. Seit neustem lernt mein Vater die Fremdwörter auswendig, er fertigt, wie Bio, kleine Karteikarten an, die er dann aber zum Glück zuhause lässt, und testet sein Gegenüber. Der Mann meiner Cousine habe atavistische Züge. Meine Mutter, die durch jahrelang geschulten Instinkt ahnte, dass mein Vater nichts Gutes im Schilde führte, konterte sofort komm-Werner-hör-gar-nicht-hin. Allein Werner war beeindruckt. Er bewunderte die huma- nistische Bildung meines Vaters, die ja nun wirklich weder humanistisch noch human war (Werner, definiere: human), und ich mir dachte, dass mein Vater wahrschein lich recht hatte (Werner, definiere: atavistisch). Mein Vater sitzt immer zuhause in seinem schwarzen Ledersessel, liest Zeitung, schnappt Begriffe auf und ordnet seinen Mikrokosmos neu. Er hasst Amerika und liebt Edward Hopper, er findet den Amerikaner geradezu abartig oberflächlich, während er in Gedanken seinen fiktiven Cadillac poliert. Er liest die Stadtgeschichten von Armistead Maupin und würde allein deshalb schon nie nach San Francisco reisen. Mein Vater hört ausschließ- lich amerikanische Musik, spielt Trompete und sieht dem Amerikaner nach, dass er darin wirklich gut, weil Musik eben eine reine Gefühlssache sei, zu der man nicht denken muss, denn das kann er ja eben auch nicht: der Ami. Als ich, wieder an der Sargplatte meine deutschen Gedanken an meinen amerikanischen Vater verschwen- dete, hörte ich gerade, wie blöde und langweilig er ame- rikanische Vororte findet, schon immer gefunden hat, auf all seinen Reisen, in denen er Amerika noch nicht einmal überflog, fand und immer finden wird. Drei Häuser, eine Tankstelle, eine Straße - blöd und langweilig, im Gegensatz zu Reinheim/Odenwald, denn da gibt's vier Häuser, und in einem sitzt mein Vater und macht sich so seine Gedanken über die Welt. Ich sitze im Zug, und eigentlich merkt niemand mehr, dass ich das wirklich tue, denn reden im Zug langweilt mich seit neustem. Es ist einfach nicht besonders spannend, Menschen nach ihrer Heimat zu befragen, denn was sie erzählen, sind die immer gleichen Floskeln - so als hätten sie sich alle abgesprochen. Und dann kriegt man zu hören, dass der Hanseat zurückhaltend sei, als Ausrede für seine immer gleichbleibende Muffligkeit, der Süddeutsche freundlich, aber verlogen, während der Hamburger, hat man erst einmal sein Herz erobert, ein Freund fürs Leben (was im übrigen nirgend wo anders). "Ja", sage ich, "ja das könne ich verstehen, dass sie nicht aus Hamburg weg wolle". Wohin auch, keine Stadt ist so cool, wie die Stadt an der Elbe, Berlin wirklich eine einzige Baustelle. Nein, keine Stadt könne Hamburg überbieten, nichts, während das Wörtchen >alles< durch mein süddeutsches Hirn schnurrt, und >die Elbe< sage, während ich >der Main< denke, cooles Hamburg, klasse Stadt. Ich sehe aus dem Fenster. Es fährt ein Zug vorbei mit der Aufschrift >Hannover, EXPO 2000<. Ich wundere mich einmal mehr über die Identitätssuche der Deut- schen Bundesbahn, denn nichts verbindet man so wenig mit der Bahn, wie kulturelle Angelegenheiten. So auch die Zugnamen: Irgendein Sadist hat sich das ausge- dacht, und wir Masochisten sitzen in der >Göttinger Sieben<, obwohl wir viel mehr sind. aus:
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