UnterGehen | Performance 10.08.2013
Einführung Brigitte Engel-Hiddemann

Ich heiße Sie alle  hier willkommen im Stadtteil Eilbek vor unserem kleinen Kunstraum, dem EINSTELLUNGSRAUM, den Frau Elke Suhr - die ich hier begrüße - vor 12 Jahren gegründet hat. Hier finden unter einem Jahresthema jeweils zehn Ausstellungen und eine größere Vortragsveranstaltung statt. In diesem Jahr ist unser Jahresthema SCHNEISEN - und wir stehen ja gerade in so einer Schneise, die zwischen den Häuserreihen dem Verkehrsfluss Raum schafft. Wir haben Sie an diesen Ort eingeladen im Rahmen mehrerer Veranstaltun- gen, die dem Gedenken an die höllische Bombardierung Hamburgs im Sommer 1943, die sog. Operation Gomorrha, gewidmet sind und in verschiedenen Stadtteilen Hamburgs jetzt Ende Juli, Anfang August stattfinden. Erinnerung an ein Geschehen, das bis heute diesem Stadtteil eingeschrieben ist.
Ich begrüße ganz besonders die Schülerinnen und Schüler der Lola-Rogge-Schule mit ihrer Leiterin Frau Meyer-Rogge-Turner und möchte Ihnen ganz besonders dafür danken, daß Sie sich an Ihrem freien Samstag auf dieses Unternehmen eingelassen haben. Sie werden heute Morgen mit uns gemeinsam den Weg begehen hier von der Wandsbeker Chaussee aus zu dem Denkmal gegen Krieg und Faschismus vor der Mundsburg, das an 370 Tote erinnert, die in der Bombennacht bei einem Schwelbrand in dem öffentlichen Schutzraum unter dem ehemaligen Karstadtgebäude erstickten. Ich darf heute Morgen auch die Künstlerin, die dieses Denkmal gestaltet hat, Frau Hildegard Huza, herzlich unter uns begrüßen. Ich freue mich, daß sie dabei sein werden. Das Denkmal steht auch in einer Schneise, dem Grünstreifen zwischen Oberaltenalle und Hamburger Straße, wo 1943 alle Häuser niederbrannten und hinterher nicht wieder aufgebaut wurden.
Wir werden gleich gemeinsam den Weg, die Straße begehen, auf der in der schrecklichen Bombennacht Menschen aus dem brennenden Stadtteil Eilbek Richtung Stadtparkwiese oder Moorweide geflohen sind. Dort drüben ging der Stadtteil Eilbek in den Flammen unter und nichts würde wieder so sein wie vorher, nichts wieder in der alten Form lebendig werden. Darum haben wir diese gemeinsame Aktion UnterGehen genannt. Die Schülerinnen und Schüler der Lola-Rogge-Schule werden in ihrer Performance auf dem Weg und vor der Hochschule für bildende Künste und dann am Denkmal vor der Mundsburg etwas von dem Geschehen jener Brandnacht im Einfühlen mit ihren Körpern, ihren Bewegungen zum Ausdruck bringen. Im Erleben dieser Bewegungsbilder können auch in

uns Wahrnehmen, Mitfühlen, Anteilnahme, Erkennen angeregt werden.
Wenn wir gleich in Bewegung kommen, setzen wir unsere Füße auf den gleichen Boden, auf dem damals nach der Bombennacht ängstliche, verstörte Füße enteilten, stolperten, sich schleppten oder anhielten, um noch einmal zurückzuschauen. Bei jedem Schritt berühren wir denselben Grund, der auch heute noch da ist und uns trägt.
Indem wir uns bewußt erinnern, gehen wir gleichsam rückwärts in die Geschichte dieses Stadtteils. Wir können dies auch körperlich nachzuvollziehen versuchen - vielleicht ein Stück des Weges -, indem wir uns zu zweit zusammentun und so einhaken, daß eine Person rückwärts, die andere vorwärts geht. Versuchen Sie, sich beim Rückwärtsgehen nicht umzudrehen. Nach einer Weile wechseln Sie die Ausrichtung, damit beide Gehende diese Erfahrung des Rückwärtsgehens machen können. Mit einer solchen Begehung reihen wir uns ein in ein altes Ritual. Es gab Begehungen in den Feldern, um Fruchtbarkeit zu erbitten, es gab religiöse Prozessionen und Trauerzüge. Nach Zerstörung und Kulturbruch in der Nazizeit formen wir weiter an einem kulturellen Kontinuum, das für das Weiterleben notwendig ist.
In solchem bewußten Begehen und dem damit verbundenen Erinnern, für das Sie sich heute Morgen Zeit nehmen, wird die Zeit spürbar und bewußt. Unser Wort Zeit kommt von dem mittelhochdeutschen Wort Zit, was "Schnitt", Einschnitt meinte. Erinnerung als Schnitt, Einschnitt, Innehalten im Fluß unserer Mobilität, die Pause im Dazwischen öffnet den Raum, um den Toten und denen, die gelitten haben,
in uns Stimme zu geben und nicht über sie hinwegzutrampeln.
Jeder Einschnitt hat zwei Seiten: Zum einen ist da das Abgetrennte. Dieses Abgetrennte abgeschnitten sein lassen, in dem Sinne: Das wollen wir nicht fortsetzen... und das könnte auf der anderen Seite bedeuten, eine Kultur des Skeptizismus zu pflegen, nie einfach wiederholen, was andere uns vorsagen, nicht in die angebliche Alternativlosigkeit einstimmen, wach sein dafür, wo Menschen nicht mehr 'zählen' und gleichzeitig uns selbst gegenüber eine Portion Mißtrauen lebendig zu halten. Das Denkmal an der Mundsburg kann so zur Herausforderung werden: "Denk mal!"

Wer nach der Performance noch die Gelegenheit zum Nachklingen oder zum Gespräch sucht, ist herzlich eingeladen mit uns zum EINSTELLUNGSRAUM zurückzugehen. Dort können wir bei einem Getränk noch weiter miteinander sprechen.

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